Entstehungsgeschichte des ZIS-110 Teil 1

Die nachfolgenden Angaben basieren auf Dokumenten der russischen Staatsarchivs, Fachbereich R-415, recherchiert von Sergei Arbusow, veröffentlicht auf dem russischen Internetprotal Drom am 11.10.2020 sowie eigenen Ergänzungen.


Ausgangssituation und Weichenstellungen 1940 - 1942

ZIS-101, einer der Vorgänger des ZIS-110, wurde in den Moskauer Stalinwerken mit Hilfe US-amerikanischer Fertigungswerkzeuge hergestellt.

ZIS-101a mit Frostschutzhaube und weiterer Zusatzausrüstung (Frontscheibenheizung, Fanfaren, Zusatzscheinwerfer, Scheinwerferabdeckungen)

Der ZIS-101, dessen Karosserietraversen aus massiven Buchenholzbohlen bestanden und der mit Starrachsen und Blattfedern ausgestattet war, erwies sich als sehr schwer, schlecht kontrollierbar, mit hohem Treibstoffverbrauch und unzuverlässig. Im Jahr 1940 bereitete das NATI*-Forschungsinstitut im Auftrag des Volkskommissariats für mittleren Maschinenbau seine Vorschläge für die Art der Autos vor, die künftig in den Fabriken der UdSSR produziert werden sollten. Diese Vorschläge begannen mit einer Bestandsaufnahme: „Das Design des ZIS-101 in seiner Gesamtheit ist veraltet und entspricht nicht dem aktuellen Stand der Automobiltechnologie.“
Man beschäftigte sich also bereits ein Jahr vor Ausbruch des Krieges** mit dem Projekt einer neuen repräsentativen Limousine. Dies ist insofern von Bedeutung, da seit Jahren im Internet kontrovers darüber debattiert wird, warum die Sowjetunion “mitten im Krieg” einen neuen Luxuswagen konstruierte. Beispielsweise lief zu dieser Zeit in den Moskauer Stalinwerken ein Projekt mit der Bezeichnung „Der Pkw der Zukunft“ . Dabei stand ein repräsentatives Fahrzeug mit Heckmotor und selbsttragender Karosserie im Zentrum der Überlegungen, welches mit unabhängiger Federung an allen vier Rädern ausgestattet sein sollte. Der seinerzeit im ganzen Land bekannte Ingenieur Juri Dolmatowski favorisierte diesen Entwurf in zahlreichen Büchern.

* Von 1931 bis 1946 trug das Institut die Bezeichnung “Wissenschaftliches Traktoreninstitut” (NATI).
** Der deutsche Angriff auf die UdSSR erfolgte am 22. Juni 1941.

Modell aus dem frühen Entwurfsstadium

Am 19. September 1942 unterzeichnete der Werkleiter Lichatschow die Anordnung Nummer 725 zur Gründung eines ihm direkt unterstellten Design- und Technologiebüros für die Konstruktion des Personenkraftwagens “Lux”. Im vierten Absatz hieß es dort: „Für die Entwurfsarbeit nehmen Sie als Grundlage den Packard Super 8, hergestellt in den Jahren 1941-1942.“ und an anderer Stelle: “Planen Sie eine Produktionskapazität von drei bis vier Autos pro Tag.”.
Mit der Entwicklung der Zeichnungen des Motors, der Kupplung und des Getriebes sollte unter Verwendung der verfügbaren importierten Muster des Packard-Triebwerks sofort begonnen werden. Es ging nicht um die Entwicklung eines Autos, sondern um die Entwicklung von Zeichnungen anhand importierter Baugruppen. Alle Verklärungsversuche der geplanten und systematisch ausgeführten Kopie sind ebenso unseriös, wie die Aneignung fremder Entwicklungsarbeit selbst. Das Designbüro bei ZIS benutzte einen Großteil seiner Ressourcen, um zu kopieren. Jedes Kind würde dies nach einem Blick bestätigen. Die Einzelteile wurden vermessen, deren Werkstoffe analysiert und unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Maschinen plante man deren Produktion. Zeitgleich mit dem Nachbau des Triebwerks begannen die Zeichnungsentwicklungen für alle weiteren Bauteile und der Karosserie.
Auf der Basis raubkopierter Entwicklungsarbeit versuchte man sich an der einen oder anderen Veränderung; insbesondere verwendete man metrische Maße. Die Fertigungsqualität und Ausführung des Wagens blieb hinter der von Packard zurück (Triebwerk bei geringerer Leistung schwerer, Farbimitat statt Edelholzverzierung etc.). Die Ergebnisse von Verbesserungsanstrengungen (innenliegende Türscharniere, fünfflügeliger Lüfter etc.) waren überschaubar.

Frontpartie und Design der hinteren Ausstellfenster des Modells im Entwurfsstadium


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QUELLENNACHWEIS

  • Abbildung 1, 2 - Za Rulem (Zeitschrift, russisch)

  • Abbildung 3 - Quelle unbekannt

  • Abbildung 4 - Drome.ru (Online-Fahrzeugmarkt, russisch)


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Miss Daisy und ihr Chauffeur