Kurzanleitung

Einführung und techn. Daten

Bei den Volkskommissariaten - es gab eine ganze Menge - handelte es sich faktisch um Ministerien. Die Bolschewisten nannten sie nur anders, um sich von bürgerlichen Regierungen abzugrenzen. Wie Sie sich, werte Leser, schon recht bald überzeugen können, wurden aus den Volkskommissaren schon kurze Zeit später dann aber doch Minister. Zum Zeitpunkt der Konstruktion des ZIS-110 wurde das Volkskommissariat für mittleren Maschinenbau von Stepan Akopow geleitet, der nach dem Krieg und mehreren Umstrukturierungen die Leitung des Ministeriums für Automobil-, Traktoren- und Landtechnik die UdSSR übernahm. Sein damaliges Volkskommissariat koordinierte den Entstehungsprozeß des Wagens.
Akopow hatte bereits 1935 im staatlichen Auftrag die USA bereist, um die dortige Industrie zu studieren.

Fotografien des ZIS-110 aus dem Jahre 1945 sind selten. Selbst denjenigen, die keine intimen Kenner des Fahrzeugs sind, fallen die Verdunkelungen an den Scheinwerfern vermutlich rasch ins Auge. Etwas unauffälliger, aber gut erkennbar, sind die gegenüber der späteren Serienproduktion andersartigen Radkappen. Von besonderem Interesse ist die seinerzeit noch sehr viel einfachere Kühlerfigur.
Dem ungeschulten Auge würde vermutlich entgehen, daß es sich bei dem Fahrzeug auf den Fotos um ein gepanzertes Vorserienmodell handelt. Der Frontscheibenrahmen ist zu diesem Zweck massiv verstärkt und die vorderen Ausstellfenster ähneln Glasbausteinen. Auf die Weißwandreifen mochte man für’s Foto nicht verzichten, doch das Reifenwerk in Jaroslawl war nicht in der Lage, Weißwandreifen zu liefern, die der Last von mehr als 5 Tonnen im Fahrbetrieb gewachsen waren. Was wir sehen, ist also nichts anderes als eines der zahlreichen kommunistischen Truggebilde, die dem Tageslicht nicht standhalten. Da die Lauftests erst 1946 vollständig abgeschlossen werden konnten, könnten wir den Sowjets zugute halten, daß sie ein Jahr zuvor noch nicht wissen konnten, daß die Reifenfrage nicht zufriedenstellend gelöst werden würde.

Nachfolgend einige Erläuterungen zu den technischen Eigenschaften.

Drehmoment in kg/m
Das Drehmoment von 40,4 kg/m entsprich 396,19 Nm (1 kg/m = 9,8067 Newton-Meter). Werte dieser Größenordnung begegnen uns heutzutage bei guten Mittelklassefahrzeugen.

Einscheibentrockenkupplung, halbzentrifugal
Bei einer halbzentrifigalen Kupplung sind bewegliche Gewichte im Kupplungsautomat angebracht, die durch die Zentrifugalkraft bei steigender Drehzahl nach außen wandern und so den Federwiderstand bei Kupplungsbetätigung verringern. Im Unterschied zu einer Zentrifugalkupplung unterstützen die Gewichte lediglich den ansonsten manuellen Kupplungsvorgang.

Dreiganggetriebe mit Schrägverzahnung
Mit schrägverzahnten Zahnrädern, deren Herstellung höhere technische Anforderungen stellt, können größere Kräfte übertragen und der Zahnradabstand individuell beeinflußt werden. Insbesondere verringert sich jedoch der Geräuschpegel. Gradverzahnung begegnet uns oft beim Rückwärtsgang und führt zu dem charakteristischen Heulen.

Synchronisierung im 2. und
Direktgang
Der dritte Gang ist 1:1 übersetzt, mit anderen Worten, die Umdrehungsgeschwindigkeit der Kardanwelle entspricht der Umdrehungsgeschwindigkeit der Kurbelwelle.
Da der erste Gang nicht synchronisiert ist, war beim Herunterschalten vom zweiten Gang Zwischenkuppeln und Zwischengas notwendig. Dieser Vorgang liest sich in Schilderungen oftmals komplizierter als er war. Nach einer Gewöhnungsphase geht das jedoch in Fleisch und Blut über.

Steckachsen halbschwimmend (semi-float) / schwimmend (float)
Grundsätzlich handelt es sich bei der Frage ob schwimmend, halbschwimmend oder fest, um die Frage nach der Befestigung der Achse an deren Enden. Bei einer schwimmenden Bauart (float) wird die Achse an beiden Enden in die benachbarten Baugruppen hineingesteckt und kann sich darin axial bewegen (“schwimmen”). Das Fahrzeuggewicht ruht ausschließlich auf dem hohlen Achsgehäuse, nicht jedoch auf den Halbwellen (Steckachsen); sie dienen nur der Drehmomentübertragung vom Differential auf die Räder. Somit ist die einzige Belastung, die diese Steckachse aushalten muß, das Drehmoment (nicht die seitliche Biegekraft). Eine solche Achse läßt sich demontieren, ohne das man das Rad lösen müßte. Sofern die Achse brechen würde, hätte dies keinen Einfluß auf die Sicherheit des Kraftfahrzeugs.

Eine halbschwimmende Konstruktion trägt das Gewicht des Fahrzeugs auf den beiden Achswellen. Dort, außerhalb des Achsgehäuses befindet sich jeweils ein einzelnes Lager, das die Last trägt und durch das hindurch sich die Achse dreht. Ein Achsbruch hätte unweigerlich den Verlust des betreffenden Rades zur Folge. Darüber hinaus werden auch fahrdynamische Kräfte über das an der Welle befindliche Rad aufgenommen.

Ein Video von 1936 veranschaulicht die konstruktiven Details.


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Quellennachweis

  • Abbildungen 1 bis 6 - Kurzanleitung des ZIS-110, herausgegeben vom Volkskommissariat für mittleren Maschinenbau der UdSSR, Moskau 1945

  • Abbildungen 7 bis 8 - Guscha.de

  • Video “It Floats” - Chevrolet Truck Department, 1936

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